von Tânia Carvalho / Lander Patrick
Der Begriff „Barock“ kommt aus dem Portugiesischen: „barroco“ heißt „schiefe“ oder „schiefrunde Perle“, eine Metapher für alles Sonderbare und Überladene. Barocke Kunst ist definiert von überbordender Schönheit, Verzierungen und Ausschweifungen – und zugleich von der Allgegenwart des Todes: „Bedenke, dass Du sterblich bist“ ist die Mahnung gegenüber aller Eitelkeit auf Erden, das Vanitas-Motiv zeigt die beiden Gesichter einer prägenden Epoche.
In Mysterious Heart begegnen wir diesem Motiv in aufregenden Variationen. Höfisch anmutender, verspielter, zarter Tanz und Barockzitate werden jäh unterbrochen durch lange tänzerische und musikalische Blicke in den Abgrund: Diese Choreografie lebt von ihren gnadenlosen Gegensätzen. Tânia Carvalho und tanzmainz nehmen uns mit: auf kurze Fluchten in den Himmel sanfter Klänge und traumverwobener Bewegungen voller Anmut, Nähe und Verspieltheit – und auf eine Höllenfahrt, in der Feengestalten zu Fratzen werden, barocke Grazien zu Lemuren, die einander und die bedrohlich blitzende und dröhnende Außenwelt fürchten, sich verkriechen, einander beäugen und fliehen. Und das alles mit höchstem tänzerischen und technischen Anspruch: Soli, Duette und Ensembles, neoklassische Elemente und zeitgenössische Ausdrucksformen wechseln virtuos und fordern die Tänzer*innen der Compagnie zu Höchstleistungen. Carvalho ist gegenwärtig eine der prägnantesten Künstler*innen Portugals und zeigt in dieser Arbeit einmal mehr ihre Vielseitigkeit. Wer ihre Arbeit one of four periods in time (ellipsis) für das Ballet National de Marseille auf dem tanzmainz festival 2023 gesehen hat, weiß, wie eigenwillig und mitreißend ihre Tanzsprache ist – und kann sich in Mysterious Heart erneut davon beeindrucken lassen.
Barock war die Epoche der üppigen Kunst und des Memento Mori – zugleich war es die Zeit der beginnenden Kolonialgeschichte, die im Hintergrund eine Folie für den zweiten Teil des Doppelabends Força bilden kann. Pink Fraud wird eröffnet durch den Teufel. Der gefallene Engel landet auf der Bühne und verliert seine Flügel, während aus den Tiefen der Glut und der Hölle ein Vulkan Menschen und Wohlstandsmüll spuckt. „Mit den Europäern kam der Teufel“, sagt man in Brasilien. Lander Patrick ist geborener Brasilianer, lebt seit langer Zeit in Portugal und muss es wissen. Alles ist Força, ist Kraft und Energie in den ersten 20 Minuten: Der nordwestbrasilianische Forró ist pure Bewegungsenergie gepaart mit tänzerischer Perfektion, in Pink Fraud wird er zum Tanz auf dem Vulkan in südamerikanischer Übersetzung, fiebrig und faszinierend. Ein wilder Ausbruch von Temperament und Tradition, der schließlich unterbrochen und gezähmt wird von der Ausgeburt der Hölle heute, die nun aus der Glut des Vulkans nach oben steigt – einem Herrscher aus dem Reich der digitalen Technologie, dem sich die Tänzer*innen unterwerfen. Mit wie viel Humor, fantastischen Tanzsequenzen und kuriosen Einfällen Lander Patrick und tanzmainz das alles umsetzen, soll hier nicht beschrieben werden, man muss es sehen…
von Tânia Carvalho / Lander Patrick
KEINE WEITEREN VORSTELLUNGSTERMINE.
Dauer: ca. 2 Std inkl. einer Pause
Das Theater öffnet 60 Minuten vor der Vorstellung
→ Teaser
Fotos (c) Andreas Etter
Choreografie: Tânia Carvalho
Musik: Diogo Alvim
Kostüme: Lucia Vonrhein
Lichtdesign: Anatol Waschke
Mit: Elisabeth Gareis, Daria Hlinkina, Amber Pansters, Maasa Sakano, Wei-Cheng Shao*, Milena Wiese; José Garrido, Federico Longo, Matti Tauru, Lin van Kaam, Thomas Van Praet
Choreografie: Lander Patrick
Musik: Mestre André
Bühne: Lander Patrick und Bertil Brakemeier
Kostüme: Lucia Vonrhein
Lichtdesign: Anatol Waschke
Mit: Giulia Zorzete Finardi*, Shani Licht, Cassandra Martin, Réka Rácz, Merixtell Van Roggen; Zachary Chant, Paul Elie, Christian Leveque, Wendel Lima de Alcantara*, Jaume Luque Parellada, Jaime Neves
* Apprentice bei tanzmainz
oder Szenen der modernen Liebe
sehr frei nach William Shakespeare
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